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Deutsche Kolonien

Nach der Gründung des Deutschen Reiches, der Krönung von Wilhelm I zum Deutschen Kaiser im Versailler Schloss und dem Inkrafttreten des Zusammenschlusses zum 1.1.1872 war die innere Einigung der neuen Nation höchste Priorität bei der Reichregierung mit ihrem Kanzler Otto von Bismarck. Außenpolitisch war ihr vorrangiges Ziel ein Aufschließen zu den seinerzeitigen Großmächten, vor allem Großbritannien und Frankreich. Für Bismarck gehörte dazu zunächst keine aktive Kolonialpolitik, also die Inbesitznahme von überseeischen Gebieten als Kolonie.

Allerdings war es so, dass deutsche Handelshäuser seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer intensivere wirtschaftliche Beziehungen in alle Teile der Welt, vor allem auch nach Afrika und Ostasien, geknüpft hatten. Außerdem gab es auch schon zwischenstaatliche Kontakte wie z.B. Preußens mit China oder zum Osmanischen Reich. Deutschen Kaufleuten, Forschungsreisenden und Auswanderern gelang es in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, politische Kreise dafür zu gewinnen, Druck auf die Reichsregierung zugunsten einer proaktiven Kolonialpolitik aufzubauen.

Es war Deutsch-Südwestafrika, das im April 1884 als erstes Gebiet in Afrika unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt wurde. Im Juli folgten Schutzverträge für Togo und Kamerun. Die Inbesitznahme setzte sich 1885 fort: im Januar mit Kapitai und Koba an der westafrikanischen Küste, im Februar einige ostafrikanische Gebiete und im April Wituland im heutigen Kenia. Damit war das Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika errichtet.

Schon lange gab es auch nach Ostasien gewichtige deutsche Handelsbeziehungen. Hinzu kamen strategische Interessen der kaiserlichen Regierung, die inzwischen über eine erstarkte Marine verfügte. So wurde im November 1884 in Apia auf Neuguinea die Reichsflagge gehisst und damit Deutsch-Neuguinea als erstes Schutzgebiet des Deutschen Reiches in Asien geschaffen. Unter seine Verwaltung hinzu kamen dann im Oktober 1885 die Marshallinseln sowie 1899 die Marianen und die Karolinen. In getrennter Verwaltung erweiterte sich der Besitz im März 1900 um Samoa, nachdem bereits ein Jahr zuvor Kiautschou in China per Pachtvertrag als Schutzgebiet erworben worden war.

Zeitweise gab es in einigen Schutzgebiete zum Teil heftige Unruhen und Aufstände gegen die Kolonialverwaltung. Diese wurden in aller Regel durch gewaltsame Einsätze der Schutz- oder Polizeitruppen unterbunden. Zunehmend bekannt wurden ferner Übergriffe gegenüber der einheimischen Bevölkerung und deren oft prekären Lebensbedingungen. Dies führte auch im Deutschen Reich zu Widerständen gegen die praktizierte Politik, so dass etwa ab 1906 ein Umdenken über die Behandlung der einheimischen Menschen und über eine Verbesserung ihrer sozialen Lage einsetzte. Dies erwies sich moralisch und wirtschaftlich als erfolgreich. Im Ersten Weltkrieg gingen dann allerdings alle Besitzungen des Deutschen Reichs verloren, viele Gebiete de facto bereits ab August 1914, de iure aller Kolonien mit dem Versailler Vertrag von 1919.

Sind also aus heutiger Sicht die rund dreißig Jahre deutscher Kolonien „Schnee von gestern“? Eine lange abgeschlossene, zeitlich sehr begrenzte Episode deutscher Geschichte? Dies zu meinen, stellt sich gerade im Jahr 2021 als Trugschluss heraus, wenn man an die aktuellen schwierigen Verhandlungen mit Regierungsvertretern von Namibia über Entschädigungszahlungen denkt oder weiß, dass das in dem Jahr eröffnete Humboldt Forum in Berlin die Aufarbeitung der Deutschen Kolonialpolitik zu einem Schwerpunktthema gemacht hat.

Ähnlich wie Großbritannien mit der „East Indian Company“ oder Frankreich mit der „Compagnie des Indes“ verfolgte auch Bismarck die Idee, privaten (Handels-) Gesellschaften durch staatliche „Schutzbriefe“ Handel und Verwaltung der jeweiligen Deutschen Schutzgebiete zu übertragen. Dieses Modell hatte sich weder im britischen und französischen Fall bewährt, noch funktionierte es bei den deutschen Schutzgebieten, so dass früher oder später alle Kolonien der staatlichen Verwaltung unterstellt wurden. Damit war es letztlich das Deutsche Reich als Staat, der die Verantwortung für das ökonomisch insgesamt verlustreiche und ethisch fragwürdige Geschehen in den Schutzgebieten

Ihre bzw. seine Position zur Verantwortungsfrage beim Thema „Deutsche Kolonialpolitik“ muss jeder Sammlerin selbst festlegen. Unzweifelhaft ist aus unserer Sicht, dass es gerade vor diesem Hintergrund legitim und fruchtbar ist, sich auch philatelistisch mit diesem geschichtsträchtigen, hochinteressanten und komplexen Sammelgebiet auseinanderzusetzen.

Sammelgebiet „Deutsche Kolonien“

Das Sammelgebiet umfasst Briefmarken, Zusammendrucke, Markenheftchen, Markenheftchenblätter und Belege über rund Jahre. Der philatelistische Bestand ist vergleichsweise gleichwohl komplex und wegen seiner Exotik hochinteressant. Er beginnt bei vielen Teilgebieten mit Vorläufern und weist danach „eigene“ Marken auf, also solche mit dem aufgedruckten oder eingravierten Landesnamen. Bei einigen Kolonien wird das Teilgebiet ergänzt, wenn es unter britische oder französische Besetzung geraten ist und dort noch vorhandene Reichspostmarken mit dem Aufdruck der Besatzungsmacht weiterverwendet worden sind.